Immer wieder erlebe ich, dass es bei Konflikten in Unternehmen Bedenken gibt, sich die Bearbeitung der Konflikte in Anwesenheit der vorgesetzten Führungskraft vorzustellen.
Ist es nicht schwieriger, sich einem Konflikt zu stellen, wenn die eigene Chefin dabei ist? Darf man das von einem Mitarbeiter verlangen?
Sogar von einem Mediatoren-Kollegen habe ich einst die Aussage vernommen, Mitarbeiter, die miteinander Konflikte haben, seien vor ihrem Vorgesetzten zu schützen!
Autsch, da wurden wohl einige Ideen zur Konfliktarbeit gründlich missverstanden.
Aus den obigen Positionen können wir einige „Grundannahmen“ über Konflikte in Organisationen herausdestillieren:
- Konflikte entstehen aus persönlichen Aversionen, die nichts mit den Aufgaben, Prozessen, Strukturen der Abteilung zu tun haben, also gleichsam privat sind.
- Konflikte sind störende Fehlleistungen im System und sollten „entsorgt“ werden, ohne Ressourcen des Systems zu beanspruchen.
- Führungskräfte sind weder willens, noch in der Lage, sich um Konflikte, die ihre MitarbeiterInnen betreffen zu kümmern.
- Wenn MitarbeiterInnen miteinander in Konflikte geraten, so hat das nichts mit der Führung zu tun.
- Die betroffenen MitarbeiterInnen müssen eine professionelle Konfliktarbeit freiwillig wollen, daher muss man ihnen ein mediatives Angebot niederschwellig und verführerisch gestalten.
- …
Als Klärungshelfer verfolge ich eine völlig andere Strategie. Und die fußt auf ganz anderen Grundannahmen:
- Konflikte entstehen ganz natürlich aus unterschiedlichen und widersprüchlichen Handlungsplänen.
- Zusammenarbeit ohne Konflikte ist dauerhaft gar nicht möglich.
- Ungeklärte Konflikte führen zu Kränkungen und Belastungen. Jeder Mensch hat in seinem/ihrem Leben Vorverletzungen erlitten, die uns auf bestimmte Momente besonders empfindlich machen.
- Strukturen sind immer auch Machtstrukturen und besonders geeignet, solche Triggerpunkte zu bieten.
- Führungskräfte verantworten die Strukturen ihrer Abteilungen und sind daher immer verantwortlich für die Konflikte, die sich daraus ergeben.
- Führungskräfte haben ein notwendiges Interesse, solche strukturellen Rahmenbedingungen, die zu Konflikten führen zu kennen, damit sie damit umgehen können.
- Führungskräfte haben eine Fürsorgepflicht für ihre MitarbeiterInnen. Konflikte laufen lassen entspricht nicht dieser Fürsorgepflicht!
- Führungskräfte können im Rahmen dieser Verantwortung Konfliktarbeit natürlich auch anordnen. Die (Frei)Willigkeit der MitarbeiterInnen ergibt sich schon aus dem Dienstvertrag.
- MediatorInnen können Prozesse (hoffentlich) leiten, aber niemals Konsequenzen in Systemen einfordern. Dazu braucht es die systemisch Zuständigen!
Natürlich braucht es Überwindung, sich einem Konflikt zu stellen. Und natürlich erleichtert die Anwesenheit des Chefs diese Vorstellung nicht. In der Praxis zeigt sich, dass diese Hemmung schnell überwunden ist, wenn die Sicherheit da ist, endlich „alles einmal aussprechen zu dürfen“ und dabei niemandem „der Kopf abgerissen wird“.
Nach einer Darstellung des Modells der Klärungshilfe hat ein Kollege einmal gezweifelt, ob sich viele Führungskräfte dieser ureigenen Verantwortung stellen würden. Nun, es gibt viele, die dazu bereit sind.
Vor allem aber: das sind diejenigen, mit denen ich als Externer gerne und erfolgsversprechend arbeite …
Elmar Türk ist eingetragener Mediator (BMfJ) und arbeitet bevorzugt im Modell der Klärungshilfe (s. auch www.konfliktklaerung.at).